Sabine Gruber veröffentlichte Erzählungen, zwei Romane und Gedichte.
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Literaturbetrieb, Autorinnen und Autoren nach 1970
Der Abschied von der Provinz in der zeitgenössischen Literatur Nord- und Südtirols vollzog sich allmählich zwischen 1970 und 1980. Obwohl sich in Nordtirol neben der konservativ ausgerichteten Gesellschaft für Literatur "Turmbund" auch so manche oppositionelle Gruppe, z.B. das Innsbrucker "Forum für aktuelle Kunst", organisierte, gingen dabei die stärksten Impulse von Südtirol aus. Aufgrund der erzkonservativen Kulturpolitik und der monolithischen Vormachtstellung der Südtiroler Tageszeitung "Dolomiten" bildete sich dort eine starke Opposition heraus. Die Alternativzeitschriften "Die Brücke" und die Hochschülerzeitung "Skolast" scharten jene Intellektuelle um sich, die bald eine radikale Umorientierung der Literaturszene einleiteten. Anlässlich eines Symposiums zum Thema Kunst und Kultur im Jahr 1969 in Brixen rechnete der junge Schriftsteller Norbert C. Kaser (1947-1978) auf provokante Weise mit den etablierten Schriftstellern und dem ausschließenden Kulturbetrieb ab. Kaser wirkte in der Folge auch als satirischer und zugleich hochpoetischer Autor für die jüngere Generation federführend. Ein Jahr darauf erschien im Auftrag der Südtiroler Hochschülerschaft eine Anthologie (= eine unter bestimmten Gesichtspunkten ausgewählte Sammlung literarischer Stücke), die eine große Anzahl viel versprechender Autorinnen und Autoren versammelte, unter anderen Herbert Rosendorfer (geb. 1943), Luis Stefan Stecher (geb. 1937), Gerhard Kofler (geb. 1949) und Joseph Zoderer (geb. 1935). Alle vertretenen Autoren zeichneten sich dadurch aus, dass sie literarische Verfahrensweisen der Moderne weiterführten und Ideen aufnahmen, die nicht dem konservativen Mainstream in Südtirol entsprachen. Südlich des Brenner formierte sich denn auch im Weiteren neben dem "Kreis Südtiroler Autoren", der seine Hauptaufgabe im Bewahren und Überliefern sah, die "Südtiroler Autorenvereinigung", welche die linke Literaturszene repräsentierte. Außerdem entstanden mehrere Literaturzeitschriften wie "Arunda", "Distel" und "Sturzflüge", die anregend auf die literarische Produktion wirkten und aktuelle Themen kontroversiell aufgriffen. Typisch für die neue Literatengeneration in Südtirol war auch ein zunehmendes Interesse an der italienischen Volksgruppe und die Verknüpfung von deutscher, ladinischer und italienischer Kultur. Indem die Schriftsteller sich engagiert in politische Auseinandersetzungen einmischten, lieferten sie Spiegel- und Gegenbilder zur Südtiroler Wirklichkeit.
Die Entwicklung in Nord- bzw. Ost- und Südtirol verlief nicht parallel. Im Vergleich zu Südtirol konnte im nördlichen Teil des Landes zunächst nicht von einem aufregenden literarischen Leben die Rede sein. Die meisten Auseinandersetzungen um die zeitgenössische Literatur fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Gegengewicht zum schöngeistigen Konzept der "spirituellen Poesie" rund um den "Turmbund" kam schließlich von der Dialektpoesie und von der konkreten Dichtung; letztere repräsentiert durch den international bekannten Künstler Heinz Gappmayr (geb. 1925).
In deutlicher Abkehr von der traditionellen Mundartdichtung und ausgestattet mit einem kräftigen regionalen Selbstbewusstsein kristallisierte sich eine kritische und radikale Dialektliteratur heraus - bis heute in der Szene präsent ist z.B. der Ötztaler Hans Haid (geb. 1938). Auch im dramatischen Bereich lösten neue Themen das althergebrachte und affirmative Bauerntheater ab. Äußerst erfolgreich mit seinen Stücken war schon bald Felix Mitterer, der zwar an die Tradition des Volksstückes anknüpfte, jedoch Außenseiter und aus der Gesellschaft Ausgestoßene in den Mittelpunkt rückte und neue Stilelemente in das Drama einführte. Stücke wie "Die Kinder des Teufels", "Stigma" oder "Ein Jedermann" lösten in Tirol heftige Kontroversen aus. Für Aufregung sorgte da und dort auch das 1980 erstmals erschienene Satiremagazin "Der Luftballon", in dem sich streitbare Geister wie Alois Schöpf (geb. 1950), Helmuth Schönauer (geb. 1953) und Walter Klier (geb. 1955) über Borniertheiten lustig machten. Schönauer und Klier sind auch heute noch in der Tiroler Literaturszene wichtige Stimmen, der eine als beißender Satiriker, der andere als Essayist und Autor mehrerer Romane. Ein Stein des Anstoßes für die unmittelbare Umgebung war auch Johannes Trojers Zeitschrift "Thurnthaler", 1977-1987 herausgegeben in Außervillgraten/Osttirol, eine der interessantesten literarischen Erscheinungen der jüngeren Vergangenheit.
Polarisierung, Provokation und Diskussion wirkten in den 1970er und 1980er Jahren auf die Literatur erneuernd. Auf dem Boden der Auseinandersetzung mit dem Tiroler Establishment entstand eine Literatur, welche die Kraft hatte, einen größeren inneren wie äußeren Raum für sich zu erobern. Eine nicht geringe Anzahl von Autorinnen und Autoren meldete sich zu Wort, die durchaus mit der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur mithalten konnte, etwa Gerold Foidl (1938-1982) und auch Joseph Zoderer (geb. 1935), dessen erster Roman "Das Glück beim Händewaschen" zum internationalen Erfolg wurde. Zoderer schrieb weitere Romane, zuletzt "Der Schmerz der Gewöhnung" (2002), und ist bis heute im ganzen deutschen Sprachraum angesehen. Eine der wenigen Frauen, die schon früh außerhalb Tirols Beachtung erfuhr, ist die Autorin Anita Pichler (1948-1997), die sich bereits 1986 mit ihrem ersten Roman "Die Zaunreiterin" bei Suhrkamp einen festen Platz in der deutschsprachigen Literatur sicherte; weitere Prosatexte von unbestrittener Qualität folgten. Auch andere Frauen konnten sich in den Jahren danach durchsetzen, etwa Helene Flöss (geb. 1954), Irene Prugger (geb. 1959), Melitta Breznik (geb. 1961) und schließlich Sabine Gruber (geb. 1963), die mit ihrem zweiten Roman "Die Zumutung" (2003) gerade unlängst einen Schritt über die österreichischen Grenzen hinaus machte.
Zu den erfolgreichsten Tiroler Autoren gehören neben Mitterer und Zoderer Norbert Gstrein, Alois Hotschnig und Raoul Schrott. Gstrein und Hotschnig sind seit 1990 mit ihren Prosawerken fester Bestandteil der zeitgenössischen Literatur, beide publizieren in renommierten deutschen Verlagshäusern und haben international wichtige Auszeichnungen erhalten. Der Landecker Raoul Schrott stellt ein besonderes Phänomen dar: ihm ist es als einem der wenigen Literaten überhaupt gelungen, mit eigener Lyrik und Lyrikübersetzungen aus der Antike hohe Auflagen zu erzielen und eine breite Leserschaft zu gewinnen. Auch er erhielt mehrere bedeutende Literaturpreise.
Der Tiroler Literaturbetrieb hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich entwickelt, die Zahl der Vermittlungsinstanzen und Literaturveranstalter hat stark zugenommen, sowohl in Tirol als auch in Südtirol wird das Publikum wöchentlich mit mehreren literarischen Veranstaltungen zum Lesen und Diskutieren angeregt. Nur die Literaturzeitschriften - zuletzt waren es in Nordtirol der "INN", der "Foehn", die "Gegenwart" und "Das Fenster" - sind verschwunden. Doch erste Ansätze der heute ganz Jungen - etwa jene der Autorengruppe "cognac & biscotten" - oder auch die "Fenster"-Nachfolge "Quart" lassen hoffen, dass auch diese Lücke bald geschlossen sein wird.
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