Abdruck der Urkunde über die Rückgliederung Osttirols an Tirol im Osttiroler Boten
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Territoriale Neuprofilierung: Rückgliederung Osttirols und Autonomie für Südtirol
Im Jahre 1947 erfolgte die Wiedervereinigung des unter britischer Besatzung stehenden Bezirks Lienz mit dem Bundesland Tirol. Das Verhältnis zur Zentrale Wien stellte im Unterschied zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kein wesentliches Problem mehr dar, wobei sich Tirol weiter als Vorreiter bzw. Wahrer föderalistischer Grundsätze profilierte. Diesem Motiv verdankte auch Karl Gruber als "Sprecher des Westens" bei der ersten gesamtösterreichischen Länderkonferenz im September 1945 in Wien (die zum Ausbau und zur Anerkennung der provisorischen Staatsregierung unter Karl Renner führte) seine spätere Ernennung zum ersten Außenminister (1945-1953) der Zweiten Republik, was auch auf die 1945/46 virulent gewordene Südtirolfrage zurückzuführen war. Aus Tiroler Sicht wurde aber von Wien die Selbstbestimmung für den südlichen Landesteil nicht energisch genug gefordert.
Ausgehend von dem am Rande der Pariser Friedenskonferenz am 5. September 1946 geschlossenen Gruber-De Gasperi-Abkommen und dessen Verankerung im Annex des Friedensvertrages zwischen Italien und den Alliierten vom 10. Februar 1947 war immerhin eine Basis geschaffen, von der sich die Südtiroler ihre Grundrechte erstreiten konnten. Es folgten das Erste Autonomiestatut (29. Jänner 1948), das Optantendekret (2. Februar 1948), welches den Deutschland-Optanten die Möglichkeit des Wiedererwerbs der italienischen Staatsbürgerschaft sowie den Umsiedlern ihre Rückkehr nach Südtirol ermöglichte, sowie das "Accordino" (12. Mai 1949), welches einen erleichterten Warenverkehr gewisser Güter und Erzeugnisse zwischen Vorarlberg, Tirol, Südtirol und dem Trentino vorsah.
Neuer Aktivismus in der Südtirolpolitik der 1950er Jahre hing mit Österreichs "annus mirabilis" von 1955 zusammen, welches die Befreiung von den Besatzungstruppen brachte, das für die Südtiroler aber kein "Wunderjahr" wurde. Bereits die Auflösung der "Außenstelle des Bundeskanzleramtes in Innsbruck" (BAI), zuständig für die Rücksiedlung, hatte Betroffenheit ausgelöst. Aus Frustration über die passive österreichische Südtirol- und die wenig konziliante italienische Autonomiepolitik (1946-1951) bildete sich in ersten Ansätzen ein eigenes "Südtiroler Volk"-Bewusstsein. Seine maßgeblichen Politiker setzten mit der Unterstützung der Tiroler nördlich des Brenner auf Regionalisierung, lehnten aber Separatismus ab. Sie waren allerdings aufgrund der ethnischen Gemengelage im Raum Bozen sowie durch die italienische Massenzuwanderung in ihrem Agieren eingeschränkt. Silvius Magnagos berühmtes "Los von Trient!" auf der Massenkundgebung auf Schloss Sigmundskron 1957 schuf den nötigen politischen Druck, der zwar zu bilateralen Sondierungsgesprächen mit dem italienischen Botschafter in Wien führte, aber ergebnislos blieb.
Aufgrund italienischen Unwillens wurde zwischen 1959 und 1961 wieder die Forderung nach Selbstbestimmung laut. Diplomatie und Terror setzten nun gleichzeitig ein: Österreichs Gang vor die UNO (1960/61) brachte die Internationalisierung der Südtirolfrage, doch verhinderten gezielte Terroraktionen eine frühzeitigere Einigung über eine erweiterte und verbesserte Autonomie für die Provinz Bozen. Während sich die Verhandlungskunst auf höchsten Ebenen - zwischenstaatlich, europäisch und global - abspielte, aber lange erfolglos blieb, folgten in den 60er Jahren weitere Bombenanschläge auf lokal-regionalem und nationalem Feld. Dort behielt der Terror aber nicht die Oberhand, weil verantwortungsbewusste Landes- (Hans Tschiggfrey, Eduard Wallnöfer, Silvius Magnago) und Staatspolitiker (Bruno Kreisky, Josef Klaus, Kurt Waldheim, Aldo Moro, Giuseppe Saragat, Pietro Nenni) für realpolitische Lösungen eintraten und kompromisslose Akteure auf regionaler wie nationaler Ebene (Aloys Oberhammer, Hans Dietl, Mario Scelba, Amintore Fanfani) in der Minderheit blieben und zurückgedrängt werden konnten.
Kurzfristig wirkender, auf Augenblickserfolge abzielender Terror hatte weit weniger Aussicht auf Erfolg als die mit langem Atem ausgestattete Diplomatie. Die Attentate konnten die Probleme nicht lösen, für das Ziel der Selbstbestimmung waren sie sogar kontraproduktiv. Sie gaben aber Anstöße und regten Rom zum Nachdenken an. Sie erzeugten daher zweifellos auch neue Dynamik mit Blick auf die erstarrte südtirolpolitische Situation der 1950er und 1960er Jahre. Internationaler Druck von oben und einsetzende Gewaltmaßnahmen von unten brachten mehr Bewegung in die festgefahrenen Fronten zwischenstaatlicher Diplomatie und Politik. Italien setzte eine innerstaatliche Kommission unter Zuziehung von Südtirolern ein, um die Thematik wieder zu "nationalisieren" und auf Zeit zu spielen.
Die UNO hatte in zwei Resolutionen (1960/61) zu bilateralen Verhandlungen aufgerufen, womit der römische Standpunkt von Südtirol "als rein innerer Angelegenheit" erschüttert worden war. Das Ergebnis der Verhandlungen der 19er Kommission (1961-1964) blieb jedoch mäßig. Erst die innenpolitische Öffnung nach Mitte-Links in Italien ab 1963/64 und die Entschlossenheit der ÖVP-Alleinregierung Josef Klaus, Rom entgegenzukommen, führten 1969 unter Zustimmung der SVP zu einem historischen Kompromiss ("Paket") zwischen Aldo Moro und Kurt Waldheim, nachdem die befristet internationalisierte, aber autonomiepolitisch als unzureichend empfundene Kreisky-Saragat-Lösung 1965 abgelehnt worden war und neuer Terror (1966/67) zu einer römischen EWG-Verhandlungsblockade gegen Österreich (1967-1969) geführt hatte. Die einvernehmliche Lösung in der Südtirolfrage zwischen Österreich und Italien trug zur weitgehenden Entspannung der zwischenstaatlichen Beziehungen bei, öffnete den Weg zu einer Ära der guten Nachbarschaft und ermöglichte auch einen Prozess der Entkrampfung der politischen Lage in Südtirol selbst. Der Terrorismus ging zurück - auch aufgrund der konsequenten Strafverfolgung durch die staatlichen Behörden. Die Beseitigung des "Störfaktors" Südtirol durch "Paket" und "Operationskalender" und das Zweite Autonomiestatut von 1972 eröffneten die Möglichkeit für Wien, Freihandelsabkommen mit der EG zu vereinbaren.
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