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Werbeplakat anlässlich der Tiroler Abstimmung über den Anschluss an Deutschland am 24. April 1921

Das Ende des alten Kronlandes und verweigerte Selbstbestimmung

Die an die Stelle des Nationalrats tretende Provisorische Tiroler Landesversammlung erklärte am 3. Mai 1919, "dass Tirol entschlossen ist, von den vom Präsidenten Wilson als Grundlage eines gerechten Friedens wiederholt zugesicherten Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen und das geschlossene deutsche und ladinische Landesgebiet bis zur Salurner Klause als selbständigen, demokratischen und neutralen Freistaat auszurufen, falls nur dadurch die Einheit dieser Gebiete erhalten bleiben kann". Um diesem feierlichen Beschluss noch mehr Gewicht zu verleihen, wurde hinzugefügt, dass das restliche Tirol zur Aufrechterhaltung der "wirtschaftlichen Lebensfähigkeit" den Anschluss an Deutschland suchen würde, sollte die Grenze am Brenner Realität werden.

Im östlichen Landesteil gab es unterschiedliche Orientierungen. Im Oktober und November 1918 hatte der "Nationalrat" von Lienz einen Anschluss des Bezirks an Kärnten ventiliert. Im Herbst 1920 wurde sogar ein selbständiger "Gau Osttirol" im Rahmen des Deutschen Reichs proklamiert, der aufgrund der Ablehnung von Bauernvertreter aber nur ein Intermezzo bildete.

Die Frage der Landeseinheit wurde in dem Pariser Vorort St. Germain im Rahmen des Friedensvertrages mit Österreich, der am 10. September 1919 unter nicht unerheblichem Zwang zustande gekommen und daher auch mit einstimmigem Protest der österreichischen Friedensdelegation unterschrieben worden war, gegen den Willen der Bevölkerung Tirols entschieden. Seine Abgeordneten hatten sich bei der diesbezüglichen Abstimmung über die Vertragsannahme in Wien der Stimme enthalten. Für seine Kriegsteilnahme auf Seiten der "Entente" (Frankreich, Großbritannien und Russland) gegen die "Mittelmächte" (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien) ab 1915 hatte Italien als "Lohn" das Trentino, den südlichen Teil Tirols, sowie die Brennergrenze zugestanden bekommen. Dieser Willkürakt widersprach dem von US-Präsident Woodrow Wilson propagierten "Selbstbestimmungsrecht der Völker" in eklatanter Weise und führte zur Dreiteilung des alten Kronlandes in Süd-, Nord- und Osttirol.

Während der südliche Landesteil offiziell am 10. Oktober 1920 vom Königreich Italien annektiert wurde - dieses Datum war fortan alljährlich feierlich begangener "Landestrauertag" -, bildeten nun die Teile Nord- und Osttirol das Bundesland Tirol. Der größere, südlich des Brenner gelegene Teil des alten Kronlandes Tirols mit 14.100 Quadratkilometern und cirka 540.000 Einwohnern (darunter rund 220.000 Deutschsprachige und etwa 10.000 Ladiner, die weitgehend geschlossen zwischen Brenner und Salurner Klause lebten und dort rund 90% der Bevölkerung bildeten) wurde Italien zugeschlagen. Der verbliebene restliche Teil, verteilt auf zwei landschaftliche nicht zusammenhängende Gebiete, mit einer Fläche von 12.647 Quadratkilometern und rund 306.000 Menschen sollte Teil des neuen Bundesstaates Österreich werden. Das war aber zunächst noch eine offene Frage.

Über die erfolgte Teilung des Landes herrschte so große Missstimmung auch gegen Wien, dass sich massive antimarxistische, antisemitische und antizentralistische Ideologiepotentiale entluden. Hinzu kamen stärkere Tendenzen in Richtung eines "Anschlusses" der nördlichen Landesteile Tirols mit dem Deutschen Reich. Dieses Fluchtverhalten erreichte seinen Höhepunkt bei der unter alliiertem Verbot, deutlicher Reserve Wiens und von Beeinflussungsversuchen und Manipulationen nicht ganz freien Abstimmung vom 24. April 1921, als 98,5% die Frage "Wird der Anschluss an das deutsche Reich gefordert?" bejahten. Das eindeutige Ergebnis blieb politisch folgenlos, die Siegermächte des Ersten Weltkriegs verweigerten das von US-Präsident Wilson versprochene Selbstbestimmungsrecht der Völker: Der Friedensvertrag von St. Germain untersagte auch den Anschluss an Deutschland. Die Westmächte drohten mit der Einstellung weiterer Lebensmittellieferungen und finanzieller Hilfen, sollte die Anschlussagitation kein Ende finden. So fügte sich auch Tirol in den Staat, "den keiner wollte". Die ab Mitte der 1920er Jahre einsetzenden Italianisierungsmaßnahmen südlich des Brenners führten zu einer Emotionalisierung in der Südtirolpolitik. Die Idee von der Bewahrung der Landeseinheit Tirols zwischen Kufstein und Salurn war gescheitert. Seither bildete das Ziel ihrer Überwindung ein Leitmotiv Tirolischer Landespolitik im 20. Jahrhundert.

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